400 Jahre St. Antonius Kapelle Titmaringhausenvon Claudia Pape

1623 – Mitten im Dreißigjährigen Krieg stirbt in Rom Papst Gregor XV., 18 Tage später geht Kardinal Barberini als Papst Urban VIII. aus dem Konklave hervor und Wilhelm Schickard aus der Nähe von Stuttgart erfand die erste Rechenmaschine. Aber auch bei uns im Sauerland nahm scheinbar etwas seinen Anfang:

1623 - diese Zahl steht auf einem alten Eichenrahmen, der bei Umbauarbeiten vor vielen Jahrzehnten in der Ostwand der St. Antonius-Kapelle in Titmaringhausen (Stadtgebiet Medebach) gefunden wurde und heute als Ersterwähnung und gesicherter Beweis für eine Kapelle im Ort steht. Vielleicht ist sie auch älter, jedoch ist das (noch) nicht bewiesen.

 

1639 stifteten die zwei Titmaringhäuser Bürger Jodokus Henschen und Joes Fresen die erste Glocke mit der Inschrift: Titmarkausen fini fecit odoc Henschen et io Fresen 1639.  Es sollte aber noch 10 Jahre dauern, bis Bischof Frick 1649 in das entlegene Dörfchen kam, um die Glocke zu weihen und auf den Namen Barbara zu taufen. Bis heute versieht sie ihren Dienst, denn als einzige Glocke des Ortes und mit 90 kg auch noch recht klein, war sie selbst Hitlers Rüstungsindustrie anscheinend zu unbedeutend. Titmaringhausen durfte seine Glocke behalten. Seit 1947 wird sie von der Antoniusglocke und der Michaelsglocke unterstützt.

Aber erst einmal zurück zu den Anfängen: Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) machte auch vor dem Sauerland nicht Halt. In der Freigrafschaft Düdinghausen, zu der Titmaringhausen damals gehörte, tobte zusätzlich ein kleiner Grenzkrieg. Die anfangs katholischen Herren von Büren stritten sich mit den lutherischen Grafen von Waldeck um das Gebiet der Freigrafschaft mit Deifeld, Wissinghausen, Referinghausen, Oberschledorn, Düdinghausen sowie Titmaringhausen auf heute westfälischem Boden und Eppe, Niederschleidern und Hillershausen, heute Hessen. Für die Bewohner ein schlimmer Zustand, teilweise forderten beide Seiten ihre Abgaben und mit der Zugehörigkeit zu einem Herren stand auch die Religionszugehörigkeit auf dem Spiel. Denn früher war es so, dass das Volk den gleichen Lehren wie sein Landesherr  angehören musste und wechselte der, hatte der Untertan unter Umständen eine neue Konfession anzunehmen. Und das passierte bei uns mehr als einmal.

Die Grenzstreitigkeiten gipfelten darin, dass sich gegenseitig die lebenswichtige Ernte direkt vom Feld gestohlen oder zerstört oder Mühlen in Brand gesetzt wurden. Aus den umliegenden Wäldern stahl man sich gegenseitig das Holz und sogar vor Mord schreckte man nicht zurück.

Und dazu kam noch die Religionszugehörigkeit, die damals einen viel höheren Stellenwert als heute innehatte. Eine Ehe einer katholischen Titmaringhäuser Jungfrau mit einem “Lutherschkem“ aus Usseln war undenkbar. Das erklärt auch, dass die Dorfbewohner sich Ehepartner teilweise weit aus dem katholischen Sauerland ins Dorf holten, zum Beispiel aus dem fast 35 km entfernten Holthausen bei Schmallenberg, aber nicht 5 km über den Berg nach Usseln oder Willingen auf Brautschau gingen.

 

Der Weg über einen anderen Berg wurde ihnen indes nicht erspart: Mitunter jeden Morgen, zumindest aber am Sonntag, mussten die Dorfbewohner den alten Kerkenpad über den Twedberg erklimmen, um im benachbarten Deifeld die Heilige Messe zu besuchen. Damals war der Nachbarort die Muttergemeinde des Kirchspiels Deifeld zu dem auch noch Wissinghausen und Referinghausen gehörten. Vor 400 Jahren entschlossen sich die Titmaringhäuser aber offenbar ein eigenes kleines Gotteshaus zu errichten. Das ersparte ihnen den Weg jedoch nicht, denn einen Geistlichen hatten sie immer noch nicht und das sollte auch die nächsten 300 Jahre so bleiben.  Trotzdem fanden hin und wieder Gottesdienste in der kleinen Kapelle statt. Anders als zum Beispiel in Düdinghausen oder Deifeld, scheint die St. Antonius-Kapelle aber immer der katholischen Religion vorbehalten gewesen zu sein. Als die Bevölkerung Ende des 18. Jahrhunderts langsam anstieg, wurde die Kapelle 1879 um den heutigen Altarraum erweitert. 1923, als St. Antonius 300 Jahre alt wurde, gab es die bisher größte und einschneidenste Erweiterung: Der dicke Turm im Osten wurde  angebaut und der Altar, der üblicherweise immer im Osten liegt, wurde in den Westen verlegt. Zeitgleich bekamen Referinghausen und Titmaringhausen zusammen einen eigenen Vikar und es gab nun Gottesdienste im Wechsel. Der Vikar wohnte in Referinghausen und musste zur Messe von den Titmaringhäusern von dort mit einem Pferdewagen abgeholt werden. In alten Unterlagen ist jedoch zu lesen, dass der Vikar in Paderborn sein Leid klagte, da er wohl des öfteren vergessen worden war. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…..

Bei den Bauarbeiten vor 100 Jahren wurde der oben erwähnte Eichenrahmen in der Ostwand gefunden. Er trägt die Inschrift: Iacob Andres bin ich genand – mein Leben steht in Gottes Hand – Anno Christi 1623. Ist dies ein Verweis auf den „Angeres Hof“? 1544 erscheint ein gewisser “Andres“ in den Steuerlisten. Hatte er keine leiblichen Nachkommen und vermachte er deshalb sein Vermögen der Kirche? Ab 1660 hatte es zumindest einen Namenswechsel auf dem Hof gegeben, der Bauer in Angeres hieß laut Steuerlisten nun “Teipel“.

Außerdem kamen im Boden unter einer 10 cm dicken Kalkschicht die Gebeine eines Erwachsenen und fünf Kinder ans Tageslicht. Daneben fand sich ein kleiner Tonkrug. War den Verstorbenen etwas mit gegeben worden oder handelt es sich hierbei evtl um einen Schallkörper, die früher manchmal im Boden von Kirchen eingebaut wurden? Waren die Toten in Pestzeiten beerdigt worden? Die dicke Kalkschicht spräche zumindest für eine Infektionskrankheit, denn Kalk wurde damals zu Desinfektionszwecken verwandt und sorgte durch seine Hitzeentwicklung auch für eine schnellere Verwesung der Toten.

Am Ende der Bauarbeiten wurden die Skelette gemeinsam unter einem Fenster der Kirche neu bestattet.

 

 

1951 folgte ein Sakristeianbau und 1954, die Bevölkerung in den Ortschaften wuchs auch aufgrund der Flüchtlingswellen nach dem II. Weltkrieg stark an, reichte der Platz wieder nicht – für einen weiteren Anbau aber auch nicht. Im Süden stand “Hof“ , im Westen die Schule, im Norden die Straße und der “Knaupeshof“ - und im Osten? Da floss die Wilde Aa direkt an der Kirchenmauer entlang.  Zunächst erwog man einen Neubau an anderer Stelle, doch dann wagte man etwas Besonderes: Es wurde über den Bach gebaut. So hat Titmaringhausen heute etwas mit Münster gemeinsam: Dort wurde die Liebfrauen-Überwasserkirche über der Aa gebaut und bei uns steht St. Antonius über dem Wasser der Wilden Aa.

 

1969 wurde der alte wurmstichige Hochaltar aus Pappel- und Erlenholz entfernt und durch einen Altar aus Anröchter Dolomit ersetzt. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) sollte die liturgische Zuwendung des Zelebranten ja eh „versus populum“, also den Gläubigen zugewandt, erfolgen.

Mittlerweile ist es aber wie vielerorts: Die ursprüngliche Kapelle von 1623 würde alle Gläubigen wieder mühelos aufnehmen – außer an Schützenfest!

 

Vor einhundert Jahren, zum 300-jährigen Kapellenjubiläum bekam St. Antonius ein besonderes Geschenk: den dicken Turm. Und auch 2023 zum 400. Geburtstag gibt es ein Geschenk: Zum Jubiläum schenkt die Dorfgemeinschaft Titmaringhausen sich selbst und ihrem kleinen Gotteshaus  ein großes Dorffest zu dem viele Gäste und Freunde eingeladen sind. Trotz vieler, zum Teil berechtigter, Kritik an der katholischen Kirche:

 

Wegdenken mag sich keiner unsere St. Antonius-Kapelle. Offiziell ist sie nie über den Status einer Kapelle hinaus gekommen, egal – für die Titmaringhäuser ist St. Antonius ihr Dom.